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Venezuela

Orinoco Delta

11-10-2007

Früh fahren wir mit dem Taxi von Puerto Ordaz nach Tucupita, denn dort soll um 10.00 Uhr die Expedition ins Orinoco Delta starten. Wir sind pünktlich.
Unser Guide, ein fetter, zuckerkranker „Chavista“, halb Indio, halb Negro, NICHT! Er kommt eine halbe Stunde später, kassiert uns erst mal ab und schickt uns dann eine Stunde spazieren. Gegen Mittag fahren wir dann endlich zum Boot. An der Anlegestelle herrscht ein chaotisches Gewimmel. Augen aufs Gepäck! Aber das scheint bei unseren Helfern in guter Obhut. Das Boot wird bepackt. Unser Guide hat, ausser für uns, scheinbar noch für die nächsten vier Wochen Vorrat fürs Camp besorgt. Natürlich erst kurz vor der Abfahrt.

Endlich geht’s los! In viereinhalb Stunden sollen wir im Camp sein. Wir haben keine Ahnung wo das liegt. Der Aussenborder stottert zwar mächtig, aber wir kommen gut voran. Nach ca. 30 Minuten Fahrt durchs Schwemmland erreichen wir den Orinoco. Mächtige braune Wassermassen strömen gurgelnd in Richtung Atlantik. Baumstämme, ein paar Äste oder schwimmende Pflanzenteppiche treiben an uns vorbei. Das Ufer wird von dichtem Regenwald gesäumt. Gelegentlich erkennt man einfache Hütten, spielende Kinder und Frauen bei der Arbeit. Reiher stolzieren im Sumpfland.
Wir fahren und fahren. Nach mehr als drei Stunden wird es langsam Zeit für eine P...pause. Bald halten wir an, erfahren wir. Der Druck nimmt zu. Wir überlegen bereits, welche Büchse herhalten muss. Endlich ist unser Ziel, eine einsame Hütte, sichtbar. Wir wissen nicht, wie wir von Bord kamen. Ein paar taumelnde Schritte ins Gebüsch – endlich. Egal wer zuschaut!
Die Hütte sieht erbärmlich aus. Wir überlegen uns schon, wo wir hier übernachten werden. Dann erfahren wir, dass es nur eine „Raststätte“ zum Auftanken ist. Durch die häufigen Ausfälle des Motors haben wir Zeit verloren. Wir fahren weiter durch die netzartig verzweigten Seitenarme des Orinoco.
Pünktlich um 18.00 Uhr beginnt der Sonnenuntergang. Eine halbe Stunde später ist es stockdunkel. Nur schemenhaft ist für uns der Unterschied zwischen Wasserfläche und Uferzone zu erahnen. Wir fahren immer noch maximale Geschwindigkeit. Unser Guide steht am Bug und gibt dem Steuermann mit einer kleinen Taschenlampe die Richtung an. So sausen wir um Kurven, vorbei an Sandbänken und Treibgut. Manchmal stoppt das Boot, scheinbar nirgendwo. Der schwache Lichtstrahl fällt auf den undurchdringlichen Vorhang des Regenwaldes. Dann wird das Boot in eine für uns nicht erkennbare Öffnung gesteuert. In der dahinter liegenden Lagune geht es wieder mit Vollgas weiter. Zum ersten Mal haben wir Hochachtung vor der Leistung unseres Guides. Er muss das Delta wie seine Westentasche kennen.
Wir sehen Licht am Ufer. Aber die Hoffnung, es sei unser Camp zerschlägt sich schnell. Endlich, gegen 21.00 Uhr erreichen wir unser Ziel. Ohne Abendessen fallen wir ins Bett. Nicht einmal das Ungeziefer an der Decke der einfachen Hütte stört uns mehr.

Am nächsten Morgen erwartet uns ein versöhnendes Frühstück. In der Morgensonne wirkt das marode Camp fast romantisch. Wir erfahren unser Tagesprogramm. Dann verschwindet unser Guide. Vermutlich ist er auf Wahlpropaganda Tour in den umliegenden Indio-Siedlungen. Seine Helfer spulen das Programm alleine ab. Mit dem Einbaum gleiten wir auf schmalen Kanälen durch den dichten Regenwald. Ein unvergessliches Erlebnis, auch wenn wir keine Riesenschlange oder Leoparden zu Gesicht bekommen. Schnell hat unser Indio heraus, wie er die beiden Typen vor sich alleine paddeln lassen kann. Auch beim Piranha-Angeln waren wir nicht erfolgreich. Während der nächtlichen Exkursion im Einbaum können wir die Augen der Kaimane im Licht der Taschenlampen blitzen sehen. Der Fluss mit seinen unzähligen Armen und seiner üppigern, scheinbar undurchdringlichen Vegetation hat uns fasziniert.

Ernüchternd dagegen waren die Pfahlbau-Siedlungen der Warau-Indianer. Hütten und Stege stehen auf Stelzen im sumpfigen Uferland. Einziger Transportweg ist der Fluss. Die ganze Familie lebt unter einem Dach aus Palmenzweigen. Nur manchmal haben die Hütten Wände. Das Leben spielt sich daher im Freien ab. So bleibt es auch uns nicht verborgen.
Ausser einer offenen Feuerstelle aus Steinen und Lehm sowie Hängematten gibt es keine weitere Einrichtung. Gebrauchsgegenstände hängen an den Stützbalken. Kleidungsstücke liegen überall verstreut auf dem Boden. Noch schlimmer sieht es unter den Pfahlbauten aus. Unzählige Plastikflaschen und Tüten erzeugen den Eindruck man sei mitten in einer Müllhalde. In manchen Behausungen dudelt das TV-Gerät, gekauft von der staatlichen Sozialhilfe. Stromversorgung ist sowieso kostenlos. Alle hängen apathisch davor. Stundenlang, tagelang.  Betrunkene tanzen vor dem CD-Player. Frauen paddeln ihre nicht mehr gehfähigen Männer im Einbaum heim. Die Schizophrenie der aktuellen Lebenssituation der indiogenen Bevölkerung wird uns hier deutlich vor Augen geführt. Finanzielle Zuwendungen des Staates erlauben diesen Menschen zwar den Gebrauch „neuzeitlicher Konsumgüter“, ohne jedoch den sinnvollen Umgang damit gelernt zu haben. Ihrer traditionellen Lebensweise beraubt sind sie ohne eine Perspektive.
Aber nicht alle Siedlungen sind in diesem erbärmlichen Zustand. Manche versuchen in begrenztem Rahmen eine Ordnung nach ihrem Empfinden aufrecht zu erhalten. Nur die Kinder spielen, lachen und sind neugierig, so wie überall auf der Welt.  

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